15

 

Ich blieb stehen und drehte mich um. Barney Simpson lag in der Auffahrt, die eben erst von den Überresten des Baumes befreit worden war. Jetzt wurde sie erneut schmutzig, denn seine Wunde an der Schulter blutete heftig.

Mr Hamilton war an den Rand seiner Veranda getreten, dicht gefolgt von Nita. Sie trug einen anderen Jogginganzug, und ihre Kurzhaarfrisur sah im Licht der Lampe genauso perfekt aus wie tagsüber.

»Musst du noch mal auf ihn schießen?«, fragte sie ihren Mann.

»Ich glaube, er ist erledigt«, gab Ted Hamilton zurück. »Lauf ins Haus und ruf die Polizei.«

»Längst erledigt, Schatz, das habe ich schon getan, als ich seine Stimme draußen hörte«, sagte sie. »Miss Connelly, möchten Sie vorsichtig um ihn herumgehen und ins Warme kommen?«

»Danke«, sagte ich mit einer so zittrigen Stimme, dass ich sie selbst kaum wiedererkannte. »Gern, Hauptsache ins Warme.«

»Sie armes Mädchen, kommen Sie.«

Ich ging ganz vorsichtig um Barney Simpson herum, der seine Schulter hielt und leichenblass war, was zum Teil allerdings auch an der grellen Außenbeleuchtung lag. Ich lief vorsichtig die Treppe hoch, da mir mein Körper nicht mehr richtig zu gehorchen schien. Ich achtete gleichzeitig darauf, Ted nicht abzulenken oder mich zwischen ihn und den angeschossenen Mann zu stellen. Ich wollte nicht, dass Barney noch mehr zum Terminator wurde.

Als ich vor Nita Hamilton stand, sagte sie nach gründlicher Musterung: »Sie müssen sofort ins Warme. Ted, kommst du da draußen allein klar?«

»Ja, mein Schatz, kümmer du dich um die junge Dame.«

Und auf einmal war ich im Warmen. Ich hätte die Blockhütte der Hamiltons blind beschreiben können, mitsamt ihrer Einrichtung, angefangen von den Möbeln aus Ahornholz über die Spitzendeckchen über ihren Lieblingssesseln und den gerahmten Babybildern bis hin zu dem Porzellanhahn auf einem Beistelltisch. Nita warf geschickt ein Handtuch über den Stuhl an der Tür, auf dem sie sonst vermutlich ihre Schlüssel und Jacken ablegten. Nachdem ich an mir heruntergesehen hatte, wusste ich, dass keine andere Sitzgelegenheit für mich infrage kam.

»Sie bluten«, sagte sie. »Ich hole einen Lappen und wasche sie ab. Ich weiß, die Sanitäter können das besser, aber Sie wollen hier bestimmt nicht rumsitzen und alles vollkleckern. Zumindest mir würde es so gehen.«

Wo sie recht hatte, da hatte sie recht, auch wenn mir das im Moment herzlich egal war.

Sie kehrte nach wenigen Minuten mit einem sauberen Lappen und einer weißen Emailleschüssel mit warmem Wasser zurück und machte sich an die schwierige Aufgabe, mein Gesicht zu säubern.

»Ted hält genügend Abstand, machen Sie sich da keine Sorgen«, sagte sie seelenruhig, so als schieße man am See jeden Tag auf Menschen. »Der kommt uns nicht davon.«

»Wann wird die Polizei hier sein?«

»Jeden Moment. Ihr Bruder hat Sie in der ganzen Stadt gesucht«, sagte Mrs Hamilton, und mir wurde wieder warm ums Herz. »Er hat hier angerufen und uns gebeten, die Augen offen zu halten, weil er Barney Simpsons Wagen am anderen Ende des Sees parken sah. Wir waren also vorbereitet.«

»Hoffentlich hat die Polizei Verständnis dafür«, sagte ich.

»Oh, bestimmt. Sheriff Rockwell ist schwer in Ordnung. Sie ist eine ganz Nette.«

Da war ich mir nicht ganz so sicher wie Nita, aber mir gegenüber musste Rockwell auch keine Rechenschaft ablegen.

»Wieso bluten Sie am Kopf?«, fragte Nita, als wollte sie sich davon überzeugen, dass ich geistig noch ganz dicht war.

»Er hat mich an den Haaren aus dem Auto gezogen«, sagte ich, und sie wirkte aufrichtig schockiert. »Er hat meine genähte Kopfwunde wieder aufgerissen.«

»Wenn das Ted wüsste, würde er gleich noch mal auf ihn schießen«, sagte sie. Ich musste kichern, was meinen Körper schmerzhaft erzittern ließ.

Ich dachte, hätte ich es ihm doch nur gesagt, aber in diesem Moment hörten wir ein merkwürdiges Geräusch. Ein lautes Stöhnen, direkt vor der Tür. Ted Hamilton. Oh, verdammt!

In Windeseile sprang Nita auf und schloss blitzschnell die Vordertür ab, gerade noch rechtzeitig. Der Knauf drehte sich, und als die Tür nicht aufging, warf Barney sich mit voller Wucht dagegen.

»Komm raus!«, bellte er. »Komm da raus!«

»Ted ist verletzt«, sagte Nita. »Dieser verfickte Hurensohn.«

Trotz der Umstände war ich schockiert. Aber das war erst der Anfang. Nita öffnete einen Schrank neben der Eingangstür, holte eine Flinte heraus und zielte auf die Tür. »Das ist unser Gewehr gegen Einbrecher«, sagte sie, vielleicht weil ich sie so anstarrte. »Wenn er hier reinkommt, ist er tot. Ich würde ihm ja gern meine Wange hinhalten, aber Ihre bekommt er nicht.«

Barney warf sich wieder gegen die Tür. Da ich immer noch wie eine Idiotin rechts daneben saß, hörte ich das Klicken in der Dunkelheit. »Achtung«, schrie ich. »Los, zur Seite Nita!«

Da schoss Barney auch schon mit Teds Gewehr auf das Haus.

Die Hütte hatte eine stabile Tür, aber die Kugel durchschlug sie, sauste quer durchs Wohnzimmer und in die Küche dahinter. Nita war zur Seite gesprungen, und die Kugel hatte sie um mehr als dreißig Zentimeter verfehlt. Trotzdem war es ein Schock. Ich fürchtete kurz, Nita könnte umkippen, dass sie all ihr Mut verlassen hätte, aber sie hob das Gewehr und schoss zurück. Wir hörten einen Schrei.

Nachdem wir uns einen kurzen Moment angestarrt hatten, sagte Nita: »Ich muss nach meinem Mann sehen.« Obwohl ich es wirklich für keine gute Idee hielt, die Tür zu öffnen, rang ich mir ein »Ja, natürlich«, ab. Ich griff mit meiner rechten Hand nach oben und machte die Tür auf. Ich drehte den Knauf so leise wie möglich, auch wenn ich nicht wusste, warum ich jetzt noch leise sein wollte.

Die Tür ging auf, und wir sahen Barney erneut blutend am Boden liegen. Ted Hamilton war am Rand der Veranda zusammengebrochen, Blut lief aus seiner Schulter. Er war bei Bewusstsein, aber gerade noch so. Nita sagte: »Oh«, und es klang so, als stünde der Weltuntergang bevor.

Dann stieg sie einfach über Barney hinweg, um zu ihrem Mann zu gelangen. Sie kniete sich neben ihn. Als praktisch veranlagte Frau presste sie die Hände auf seine Schulter, und ich konnte mich der Situation endlich entziehen, indem ich in Ohnmacht fiel.

 

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